der andere

Soloshow Sabine Voigt

Hommage an den Künstler und Lehrer Walter Hanusch

16.08.2024 – 01.09.2024
im Ausstellungsraum EULENGASSE
Seckbacher Landstraße 16, 60389 Frankfurt am Main

Sabine Voigts umfangreicher Zyklus von achtzehn Tuschezeichnungen pendelt zwischen kraftvollen Figuren und poetischen Abstraktionen. Diese Werke entstanden in einem spontanen visuellen Austausch mit einer der markanten Schrott-Skulpturen des Frankfurter Bildhauers und Druckgrafikers Walter Hanusch, dessen Schaffen stark von seinen Kriegserlebnissen beeinflusst ist. Ursprünglich als Hommage an den Künstler und Lehrer Walter Hanusch gedacht, entwickelte sich das Projekt während des intensiven kreativen Prozesses zu einem eindrucksvollen Statement gegen Kriegsverbrechen, als Gedenken an die Opfer aktueller Kriege weltweit.

VERNISSAGE
Freitag 16. AUG 2024 – 19 h

Die Ausstellung wird kuratiert von Vládmir Combre de Sena M.A. Die Einführung in die Ausstellung wird von der Kunstwissenschaftlerin Brigitta Amalia Gonser gestaltet. Zur Vernissage laden wir Sie und Ihre Freund*innen am 16. August um 19 Uhr in den Ausstellungsraum EULENGASSE herzlich ein.


WEITERER TERMIN IM RAHMEN DER AUSSTELLUNG
So. 25. AUG · 16 h – Gespräch mit den Künstlerinnen Martina Templin und Sabine Voigt

Artikel in der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 25.08.2024: 
Kunst von Sabine Voigt im Frankfurter Ausstellungsraum Eulengasse: Wie man den Krieg überwindet

 

sabine voigt: der andere
MALERISCHE TUSCHEZEICHNUNGEN VERSUS SKULPTUR

Brigitta Amalia Gonser

Zwischen expressiver Figuration und lyrischer Abstraktion oszilliert Sabine Voigts großer Zyklus »Der Andere« von achtzehn malerischen Tuschezeichnungen, der im spontanen visuellen Dialog mit einer der unverkennbaren Schrott-Skulpturen des vom Krieg traumatisierten Frankfurter Bildhauers und Druckgraphikers Walter Hanusch (*1934) entstanden ist.

Sabine Voigt ist nicht nur im Besitz dieser Skulptur, es verbindet sie mit Walter Hanusch auch die Entstehung ihres grafischen Oeuvres, zwischen 1990 und 1994 in seiner Druckwerkstatt unter seiner Anleitung. Seither konzentriert sie sich auf die Farbskala Schwarz-Weiß und hat darin in Zeichnung und Grafik zu einer spezifischen Formensprache gefunden, die die Wahrnehmung des Betrachters provoziert.

»Der Andere« ist auch der Titel dieser hier im Ausstellungsraum EULENGASSE präsentierten bipolaren »verletzten Kunst«, von der eine starke Faszination ausgeht, weil die ästhetischen Gebilde die Sinnlichkeit des Betrachters gefangen halten. Ecce homo Sehet, welch ein Mensch! Hanuschs erschütterte Weltanschauung, durch die als Kriegskind gemachten Erfahrungen, spricht aus den ab 1980 in seiner Metallwerkstatt mit Fundmaterial aus Eisen, inklusive Bombensplittern, gearbeiteten Figuren: eine geschundene, verletzte menschliche Kreatur, die trotzdem stolz ihr Haupt erhebt und ihre Würde wahrt.

Mit dem Ausruf »Ecce homo« stellt der römische Statthalter Pontius Pilatus dem Volk den gefolterten Gefangenen Jesus von Nazareth vor, in purpurnem Gewand mit einer Dornenkrone, weil er keinen Grund für dessen Verurteilung sieht. Besonders im 19. und 20. Jahrhundert wird das Ecce-homo-Motiv von Künstlern als Bild für das Leiden und die Entwürdigung des Menschen durch Gewalt und Krieg in seiner Bedeutung erweitert. So erhält die »Passion Christi« zugleich »Passion Menschheit« einen Hauch gewaltiger Zeitlosigkeit.

Achtzehn authentische Versuche, die angespannte Konfrontation zweier gleich starker Bildpole kompositorisch zu steigern: figurative Invokation und Visualisation des »verletzten Menschen«, mit seinen Symbolen und Attributen, trifft dabei auf abstrakt tachistische Evokation der spontanen Emotionen und Imaginationen der Künstlerin im Dialog mit Walter Hanuschs Skulptur und Weltanschauung. In den komplexesten Vaderianten von links nach rechts fokussiert, aber immer wieder auch umgekehrt ausgerichtet.
Insgesamt eine dramatisch potenzierte Suche nach Erfassbarkeit der Wirklichkeit, wobei Formfragen und Seinsfragen in Voigts gleich ursprünglich sind. Dabei implizieren sie sowohl Temporalität als auch Prozessualität eines Erscheinens. Die energische Aktivität der Künstlerin in diesen achtzehn konzentrierten Stadien des Werkzyklus erinnert uns an Alberto Giacometti, der seine Kunst »Versuche« nannte, die er bis zum letzten Atemzug weiter vorantrieb, um dann lakonisch festzustellen: »Man kann nur weiterkommen, indem man scheitert. Je mehr man scheitert, desto weiter kommt man voran. Je mehr man scheitert, desto mehr erreicht man.«

Formal ist Sabine Voigts evolutiver künstlerischer Schaffensprozess in diesem Zyklus durch einen spontanen tachistischen Malgestus gekennzeichnet, der lyrisch abstrakt, dynamisch und konturlos zugleich der intuitive bildnerische Ausdruck des Unbewussten der Künstlerin ist, das sich in expressiven sinnlichen Bildern äußert. In der unkontrollierten Expression zeigt sich das Wahre. Dabei folgt sie nur ihren eigenen Regeln und ist völlig frei.

Kennzeichnend sind die dramatischen Schlieren und Verläufe der Tusche auf dem glatt versiegelten Plakatpapier, gestisch hingeworfene Pinselstriche, Tropfen und Kleckse, vor allem auf der Hemisphäre der evozierten Emotionen in den übergroßen Tuschezeichnungen, während sich auf der Seite der invozierten Figuration des zur Schau gestellten »verletzten Menschen« Wirklichkeit abbildende Tendenzen mit einer spezifischen Formverfremdung finden, SO dass sich die ägyptischen Gottheiten gleiche, stolze Gestalt aus dunkeln, hohen Sarkophagen herausschält.

Die Künstlerin entwickelt die dialektischen Modelle von Innen und Außen sowie Wesen und Erscheinung in diesem Zyklus authentisch weiter, wobei sie sich zunächst dem Außen zuwendet, um daraus das Innen zu extrahieren und Verborgenes offenbar werden zu lassen.

Der Werkzyklus ist ein offenes System, progressiv und rückbezüglich, in dem sich die einzelnen Tuschezeichnungen aus einander entwickeln und reziprok aufeinander beziehen. Prozessualität ist sein Markenzeichen und die Rezeption durch den Betrachter erfolgt in dieser Ausstellung auch im Flow. Dergestalt wird die Skulptur Walter Hanuschs in Sabine Voigts zeichnerisch-malerischer Replik als ein veritables »talking object« wahrgenommen.

So erhebt sich das achtzehnfache dröhnende Echo eines explosiven Duetts: poetisch-malerisch, emotional-Iyrisch! Und der Betrachter wird konfrontiert mit dieser eruptiven Magie. »Wo die Sprache versagt, da beginnt das Bild« ist ein oft zitierter Satz von Günther Uecker.

Sabine Voigt erweist sich als authentisches Zoon politikon, als soziales und politisches Wesen. Denn was im Dialog mit einer Skulptur Walter Hanuschs als Hommage an den Künstler und Lehrer begann, steigerte sich während des explosiven künstlerischen Schaffensprozesses an diesem achtzehnteiligen Zyklus zu einem markanten Fanal gegen Kriegsverbrechen, in memoriam der Opfer gegenwärtiger Kriegsgeschehen auf der Welt.

Brigitta Amalia Gonser, Kunstwissenschaftlerin, Frankfurt am Main