Sabine Voigt
zeigt zahlreiche Bilder aus den Jahren 2000 bis heute. Sie unterteilt ihre künstlerische Arbeit in "Werkgruppen", die wiederum bestimmten Zeitabschnitten entsprechen.
Sie finden die Werkgruppen unter den Oberbegriffen Figur im Raum, Landschaft, 30 x 30, Zustände und Papierarbeiten.
Die neue Ausstellung »arbeiten, von [arbait]« unter Aktuell
Bild, Bühne, Prozess – Sabine Voigts Augenarbeit, Isa Bickmann über Sabine Voigt
Bild, Bühne, Prozess – Sabine Voigts Augenarbeit
Isa Bickmann
Irgendwann im Laufe des Gesprächs holt Sabine Voigt aus dem Regal ein wohlverpacktes Objekt hervor. Sie öffnet die Umhüllung und zieht eine flachgepresste Fischdose heraus. Nun, da das Geheimnis gelüftet ist, entdeckt man dieses Objekt in vielen ihrer Arbeiten. Unter das Papier gelegt, bearbeitet es die Künstlerin nach Art der Frottage mit Graphit, bis sich seine Konturen auf der Vorderseite des Blattes abzeichnen. Die Frankfurterin fand jenes „Werkzeug“ auf der Straße, wie sie viele Dinge findet, die sie in ihre Papierarbeiten mit der Durchreibetechnik einbaut, wie z.B. das Lochmuster einer Metallplatte. Neben der Nutzung von Wasser, Tusche, Stift und Kreide ist die Frottage ein weiteres Element des künstlerischen Verfahrens wie auch die Collage oder gelegentlich die Schrift.
Sabine Voigt experimentiert, probiert aus. Neugierig betrachtet sie Dinge, erkundet sie, als sähe sie diese zum ersten Mal. Das kann auch die ausgeschnittene Überschrift aus der „Frankfurter Rundschau“ sein. Sie lässt den kreativen Prozess fließen, spielt mit dem Zufall, lenkt ihn, greift ein, um dann im nächsten Schritt dem Zufall erneut Raum zu geben. Sie schließt mit ihrer Arbeitsweise an die lange Tradition der Mittel zur „Intensivierung der Reizbarkeit geistiger Fähigkeiten“ an, wie Max Ernst 1936 in „Jenseits der Malerei“ berichtete. Am 10. August 1925 habe er die „Frottage“ gefunden, an einem Tag mit regnerischen Wetter in einem Gasthaus am Meer, als er begann, den Holzfußboden durchzureiben, was seine „visionären Fähigkeiten intensivierte“: „Blinder Schwimmer, der ich bin, habe ich mich zum Seher gemacht“.
Tatsächlich nähert sich Voigt in ihrer Verfahrensweise surrealistischen Praktiken. Doch sie wendet sie erheblich freier – man könnte sagen: nach Vorbild eines abstrakten Expressionismus – an. Das Sehen und Beobachten ist Kern ihrer Arbeit. Wichtig sind ihr zu experimentieren, Neues auszuprobieren, die Reaktion des Materials auszuloten oder die Herausforderungen des Materials anzunehmen, z. B. fragiles verbranntes Papier einzubinden oder mit Rost als Malmittel zu arbeiten. In den frühen „Schiebearbeiten“ hat sich die von der Bildhauerei kommende Künstlerin die Beschränkungen, die damals ein Gemeinschaftsatelier mit sich brachte, zunutze gemacht und nasse Papiere auf Karton geschoben, bis sich im entstehenden Relief durch die Falten Gestalten imaginieren ließen, die sie vereinzelt oder in Gruppen in Bewegung brachte. Transparentpapier, das befeuchtet seine Glätte verliert, erhält einen das Bild konstituierenden Anteil; Gerippe tanzen in der Szenerie, die Sabine Voigt unter der Überschrift „Zustände“ fasst – ganz humoristisch verstanden. Sie stellt sich die Frage, was es braucht, um eine Figur lebendig werden zu lassen. Wie viel muss an der Form daran sein, um diese zu erkennen, im Sinne von der Reduktion eines Körpers auf das Wesentliche (sie denkt dabei an ihren Lehrer Walter Hanusch oder an Jürgen Brodwolf). Wenn Voigt dazu schreibt, dass „Kopfschmerzen, Höhenflug und Absturz, Überheblichkeit und Bedrängnis gut in ein zerknittertes Universum passen“, dann wird deutlich, dass sie über den kreativen Prozess hinaus keine absurden Situationen darstellen will, sondern sich darin Parallelen zur Lebensrealität spiegeln.
Überhaupt ist Bewegung ein übergreifender Bestandteil der Bildkompositionen. Voigt spricht davon, „eine Bühne zu schaffen“, was bedeutet, dass sie Form und Gegenstand in den Bildraum stellt und ihnen sozusagen ein Stück schreibt. Reduzierte Formen konzentrieren den Blick. Die Künstlerin ist fasziniert von Bäumen, die sie in den als Landschaften erkennbaren Arbeiten einsetzt – in der winterlich reduzierten Form. Die wie Statuen stehenden Gestalten, die sie unter dem Titel „Rostbilder“ führt, und die von größerem Format sind, tragen Bewegung durch den Materialauftrag in sich: Die Farbe, die von Rost stammt, füllt Flächen als Gegenpol zu den tiefschwarzen Elementen. Aus dunkelgrau herablaufender Farbe wird ein in Falten fallender Umhang. Dazu Spritzer, Leerstellen, Ausblühen der Tusche, die Gesamtform umlaufend, soweit das schlanke Hochformat der Papiere dies zulässt. Die verschiedenen Materialtexturen finden sich zum Gegenstand zusammen, an dem sie letztlich festhält, auch wenn manchmal nur Figurfragmente eingefangen werden, Landschaften wie ephemere Bilder aufscheinen und wieder im Vergehen begriffen sind.
Der Arbeitsprozess, der im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens steht, bietet Einblicke in innere Zustände, ist emotional und gleichzeitig Selbstanalyse und Meditiationsübung. Eine Serie von Selbstporträts, die „blind“ gemalt wurden – d. h. sie sind in den Spiegel schauend und ohne hinzusehen mit dem Stift auf das Papier übertragen worden – deuten Seelenzustände an, entbehren aber keineswegs einer gewissen Komik angesichts verrutschter Augen oder sich zu einer Krone formenden Fingern. Es gehört Mut dazu, über sich selbst zu lachen, und doch ist es eigentlich ganz leicht.
Ergebnis ist das Bild, das die innere Sicht mit der äußeren verbindet: Die Welt der Künstlerin interagiert mit der Welt der Betrachter. „Polyversum“ heißt nach dem Jahresthema des Frankfurter Kunstvereins Eulengasse eine ganze Serie, in der verschiedenste Materialanwendungen (Farbläufe, Konturzeichnungen, Tuscheflächen, Frottagen) zu (Stadt-) Landschaften mit Figuren werden. Die Künstlerin öffnet Türen, indem sie einen Blick auf ihre inneren Bilder gewährt. Die Schnittmenge zu den Seherfahrungen der Betrachter ist vorhanden, was zu einer reizvollen Verrätselung und gleichzeitiger Wiedererkennbarkeit führt. In dieser vorwiegend monochromen Bildwelt spiegelt sich auch die alte Frage wider, ob wir in Schwarz-Weiß träumen oder im Traum (wie manche Forscher meinen, seit der allgemeinen Verbreitung des Farbfernsehens) farbig sehen. Aber diese Frage für sich genommen, die viele Menschen nicht auf Anhieb beantworten können, deutet schon darauf hin, wie grundlegend Voigts Vorgehensweise ist.
© Isa Bickmann, Frankfurt am Main